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Der Zweite Weltkrieg aus Frauenperspektive erzählt.

Luzia Schmids Film «Trained to See – Three Women and the War» feiert an den Solothurner Filmtagen Premiere. Der Film besteht ausschliesslich aus bisher unveröffentlichtem Archivmaterial und erzählt die Geschichte dreier amerikanischer Kriegsreporterinnen. Von Geri Krebs

Es ist eines der Highlights unter den Filmpremieren in dieser ersten Hälfte der 58. Solothurner Filmtage: Trained to See – Three Women and the War. «Dies ist die Geschichte des Zweiten Weltkriegs aus der Sicht von drei amerikanischen Journalistinnen, erzählt in ihren eigen Worten, mittels Artikeln, Briefen und persönlichen Notizen», heisst es zu Beginn des ausschliesslich aus Archivmaterial geschaffenen Films.

Mittels grösstenteils nie gesehenen Filmaufnahmen aus heute zugänglichen Filmarchiven der US-Streitkräfte, und den Stimmen der drei Frauen – Lee Miller, Martha Gellhorn und Margaret Bourke-White – zeigt die aus Zug stammende Regisseurin Luzia Schmid (Der Ast, auf dem ich sitze) den Zweiten Weltkrieg, wie man ihn noch nie gesehen hat.

Saiten: Man könnte meinen, über den den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust sei schon alles gesagt und geschrieben. Trotzdem haben Sie mit Trained to See – Three Women and the War einen ganz eigenen, nie gesehenen Zugang zu dieser Geschichte gefunden. Stimmt der Eindruck, dass Sie auch einen persönlichen Bezug dazu haben?

Luzia Schmid: Ich bin als Teenager zum ersten Mal mit dem Thema in Berührung gekommen. Damals war ich im Internat auf dem Hasliberg, wo ich mehrere Jahre zur Schule ging und eine ältere jüdische Erzieherin hatte. Diese Frau hatte im Holocaust ihre ganze Familie verloren, während sie selbst in dieser Zeit unter schwierigen Bedingungen in der Schweiz lebte. Ich glaube, die Bekanntschaft mit dieser Frau hat mich geprägt. Und dann gibt halt die Tatsache, dass ich seit 25 Jahren in Deutschland lebe, schon einen anderen Bezug. In den deutschen Städten ist der Krieg auch heute, fast achtzig Jahre nach seinem Ende, rein optisch immer noch allgegenwärtig. Wenn man sich die Architektur etwas genauer anschaut, sieht man die Narben des Krieges. Ich lebe seit langem in Köln. Das war die erste deutsche Grossstadt, die von den westlichen Alliierten befreit wurde – unter sehr schweren Kämpfen – und die stark zerstört wurde. Irgendwie ist der Schrecken des Zweiten Weltkriegs für mich immer noch sehr präsent.

Wie sind Sie dann auf die drei amerikanischen Journalistinnen gestossen, aus deren Sicht in Ihrem Film der Zweite Weltkrieg erzählt wird?

Mir wurde der Stoff 2017 vom Berliner Produzenten Ulli Pfau von Eikon Media angeboten, der wiederum hatte die Idee auf Grund eines Artikels der bekannten Anglistin und Historikerin Elisabeth Bronfen. Sie brachte die drei Frauen in diesem Artikel erstmals in einen Zusammenhang.  Mir war nur die Fotografin Lee Miller ein Begriff, die anderen beiden, Martha Gellhorn und Margaret Bourke-White kannte ich gar nicht. Aber nach der Lektüre der ersten Texte und nachdem ich die Fotos gesehen hatte, wusste ich sofort, dass ich diesen Film unbedingt machen will.

Wie sind Sie an das Filmmaterial gekommen?

Ich kannte von früheren Regie-Arbeiten Archivmaterial der US-Army vom Zweiten Weltkrieg. Als ich die Texte der Frauen las, war mir sofort klar, dass die weniger bekannten Bilder, die man in der Regel im Schnitt aus Zeitgründen weglassen muss, hier passten. Zudem fand ich interessant, dass es sich bei den Bildern um eine rein US-amerikanische Perspektive handelte. Das Material war ja von US-Army-Kameraleuten gedreht worden, eine frühe Form von embedded Journalism. Es war also quasi die männliche oder offizielle Perspektive auf den Krieg, während die drei Frauen einen ganz anderen Zugang zum Kampfgeschehen hatten, Krieg anders sahen und anders beschrieben. Ich war mir sicher, dass die Texte der Frauen und die Bilder aus den US-Archiven sich gut ergänzen und eine neue Ebene eröffnen würden. Dabei bin ich den Wegen der drei Frauen in den Jahren von 1941, dem Eintritt der USA in den Krieg, bis zum Kriegsende in Deutschland 1945 gefolgt.

Dabei entsteht der Eindruck eines immer tieferen Eintauchens in die Hölle: Sind es in der ersten Stunde des Films oft Szenen und Beschreibungen von den Kriegsschauplätzen in England, Frankreich und Italien und die Kämpfe der drei Frauen um Gleichbehandlung wie ihre männlichen Journalistenkollegen, so zeugen im letzten Teil des Films die Bilder, als die US-Army in Deutschland die Konzentrationslager befreit, von einem kaum aushaltbaren Grauen…

Da ich mich entschieden hatte, den Film ganz aus der Perspektive der Frauen zu erzählen, folgte ich dem Weg der Frauen von den Küsten der Normandie und Italiens bis nach Deutschland, und dort dann schliesslich in die KZ Buchenwald und Dachau. Und ich wollte ihren Blick darauf ins Zentrum stellen. Deshalb schien es mir folgerichtig und zwingend diese Bilder zu zeigen. Insofern war es ein dramaturgischer Entscheid. Der zweite, inhaltliche, Grund war, dass es meiner Meinung nach in Deutschland, aber auch in der Schweiz eine Art Kanon von Bildern gibt, die den Schrecken des Holocaust darstellen. Irgendwie sogar verständlich, weil es schwierig ist, sich dem Grauen zu stellen, von dem die Bilder auch heute noch erzählen. Dem wollte ich etwas entgegensetzen. Das scheint mir wichtig, gerade jetzt, da die letzten Zeugen des Holocaust sterben.

Bestärkt hat mich dabei noch die Tatsache, dass etwa meine deutsche Editorin, die 25 Jahre jünger ist als ich, die meisten Bilder aus Dachau und Buchenwald noch nie gesehen hatte. Und sie gehört zu der Generation, die mit dieser deutschen Erinnerungskultur sozialisiert wurde – ebenso wie meine beiden Töchter im Teenageralter, die in der Schule den Zweiten Weltkrieg zwar behandeln, aber den Schrecken nicht so vermittelt bekommen. Ich bin aber überzeugt, dass die Verbrechen des Nazi-Regimes ein Teil des deutschen und europäischen Erbes sind, das in uns nachwirkt. Aufarbeitung ist immer noch wichtig.

Alle drei Frauen in Ihrem Film waren bei der Befreiung von Konzentrationslagern dabei, haben dieses Grauen aber später unterschiedlich bewältigt: Während Martha Gellhorn und Margret Bourke-White offenbar ihre Tätigkeit als Journalistinnen weiter ausüben konnten, versank Lee Miller in Depressionen und Alkoholismus und sprach auch nie mehr über ihre Arbeit als Kriegsberichterstatterin. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Ja. Während Margret Bourke-White eine Frau war, die betonte, dass die Kamera ein Schutzschild für sie sei und ihr stets eine Distanz zum Fotografierten ermögliche – und Martha Gellhorn sich zwischen Journalismus und Literatur sah, verhielt es sich bei Lee Miller anders: Sie war eine Fotokünstlerin, sie kam aus dem Kreis der Surrealisten und das Konzept von der Kamera als Mittel zur Distanz war ihr fremd. Sie war die sensibelste der drei Frauen, sie war dem, was sie fotografierte, weitgehend schutzlos ausgesetzt.

Vom Surrealismus geprägte Kunst- und Kriegsfotografin Lee Miller

Unterschiedlich waren auch die Liebesbeziehungen der drei Frauen zu Männern: Während die Beziehungen von Martha Gellhorn und Margret Bourke-White im Lauf des Krieges auseinandergingen, blieb die von Lee Miller zu ihrem Partner intakt.

Ja, aber während es bei Margaret-Bourke White nicht zuletzt die Eifersucht ihres Gatten – des damals bekannten Autors Erskin Caldwell (Tobacco Road) – auf ihren beruflichen Erfolg war, der die Ehe zunehmend belastete, war die Beziehung zwischen Martha Gellhorn und Ernest Hemingway von Anfang an explosiv. Hemingway verliebte sich in die abenteuerlustige Journalistin, wollte sie aber dann, nachdem er sie geheiratet hatte, als Frau an seiner Seite. Was aber mitnichten Martha Gellhorns Vorstellung ihres Lebens entsprach. Man darf nicht vergessen, die drei Frauen waren Anfang/Mitte 30, als der Krieg begann. Bei Lee Miller dagegen verhielt es sich ganz anders. Sie und ihr Partner, der Maler Roland Penrose, waren von den Surrealisten geprägt, auch was Beziehungen anbelangt, sie führten eine offene Beziehung. Die Probleme der Frauen hinsichtlich Karriere und Beziehung sind den Themen der Frauen von heute überraschend ähnlich. Auch deshalb wollte ich die Frauen von damals «modern» erzählen.

Denken Sie, dass Ihr Film durch den Ukraine-Krieg noch ein verstärktes Interesse wecken wird?

Ich wollte einen Anti-Kriegsfilm machen. Die Bilder aus der Ukraine zeigen, dass das Kriegshandwerk im Wesentlichen gleich ist wie damals, wenn auch mit moderneren Waffensystemen. Dadurch hat der Film eine traurige Aktualität gewonnen. Wir waren mit dem Schnitt allerdings Anfang Februar 2022 fertig, zwei Wochen bevor Putin die Ukraine überfiel. Es gibt also im Film keine direkten Verweise auf diesen Krieg. Aber natürlich sieht man jetzt alles mit anderen Augen, einige der Filmbilder wirken erschreckend aktuell.

Trained to See – Three Women and the War von Luzia Schmid läuft in Solothurn an den Filmtagen 2023. Ob der Film in die Kinos kommt, ist unklar. Er wird aber im Laufe der nächsten Monate auf Arte ausgestrahlt. Der Sender hat den Film koproduziert.

Quelle: Verein Saiten, Geri Krebs

Beitrag SRF

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